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Eine Meldung und ihre Geschichte

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Heute morgen bin ich in der Westfälische Rundschau (WR) über eine kurze Meldung gestolpert. Nämlich diese:

 

 

Mir kamen da auf Anhieb ein paar Fragen. Vieles kann man ja im Internet erfahren, also mal bei den Pressemitteilungen der Agentur für Arbeit (AA) nachschauen, vielleicht steht da mehr. Aha. Die Pressemeldung der AA wurde 1:1 abgedruckt. Die journalistische Leistung dabei: In der Mitte der Original-Meldung hat die WR einen kleinen Absatz weggelassen, der sich inhaltlich mit der Einleitung doppelte. Also: gesehen, gekürzt, gedruckt. Ohne umzuschreiben, nachzufragen oder nachzudenken. Ohne Quellen-Nennung. Scheiß-Überschrift ausgedacht, fertig.

Auch wenn die Bilanz zufrieden ist, ich bin es nicht und rechne nach: 1.500 Beratungen hat der Job Point seit Mitte April durchgeführt. Die Öffnungszeiten des Job Point standen in der Meldung gleich dabei. Ich habe also  zunächst die wöchentlich geöffneten Stunden zusammengezählt: Das sind 37,5. Sechs Monate a vier Wochen,  sind 24 Wochen. Multipliziert mit den wöchentlichen Öffnungszeiten des Job Points komme ich auf 900 Stunden Öffnungszeit in sechs Monaten, in denen die 1.500 Menschen beraten wurden.

1.500 durch 900 (gut, dass ich wegen des Kreuzworträtsels immer einen Kuli neben dem Klo liegen habe) sind 1 Komma Periode 6. Aufgerundet 1,7 Kunden pro Stunde.

Klingt erstmal nicht so viel. Auf der Seite der Arbeitsagentur lese ich in einer älteren Meldung zur Eröffnung des Job Point, dass zwei Mitarbeiter dort  arbeiten. Was machen die mit ihren 1,67 Kunden pro Stunde? Unser Mitarbeiter Marcel Klein hat beim Amt nachgefragt.

Sibylle Hünnemeyer, Pressesprecherin der Dortmunder AA, hat es ihm so erklärt: „Die Beratung im Job Point ist längst nicht so umfangreich wie eine komplette Berufsberatung.“ Klingt nach: Flyer verteilen oder erklären, wie die Internet-Seite der AA mit den Jobangeboten heißt. Klingt irgendwie nicht nach: voller Auslastung für zwei Mitarbeiter bei 1,67 Kunden pro Stunde. Deshalb haben die auch Zeit, für jeden, der neugierig seinen Kopf durch die Tür steckt, einmal den mechanischen Zählapparat zu drücken. „Wo ist denn hier das Klo?“ Klick, 879.

Wieder ernst: Wenn man sowieso keine komplette Beratung ersetzen kann, warum macht man es dann überhaupt? Ist das nicht doppelt gemoppelt? Frau Hünnemeyer: „Wir machen das, um die Leute zu motivieren und ihnen den Gang zum Amt möglichst angenehm und vor allem unbürokratisch zu gestalten.“

Aha. Was tut man nicht alles. Also so ähnlich wie mit den Flugblättern, auf denen das Dortmunder Arbeitsamt seinen Kunden Prämien zwischen 200 und 280,50 Euro, für die ersten drei Monate im neuen Job, versprochen hat. Dafür, dass sie ein Arbeitsangebot annehmen und  ein Arbeitsverhältnis aufnehmen. Zusätzlich zum Gehalt, natürlich. Außerdem, stand auf dem Flyer (der wurde von der Landes-AA kassiert, die Prämien nicht), gibt’s vom Amt bis zu 2000 Euro für die Reparatur oder Anschaffung eines Autos, um weiter entfernte Arbeitsstellen antreten zu können. Außerdem kann man noch Geld für einen Bewerbungs-Anzug und die Kosten für einen Haarschnitt (bis 20 Euro) erhalten.

Es geht dabei offensichtlich um ein bestimmtes Klientel: Leute, die arbeitsfähig sind, für die es Jobs gibt, die aber zusätzlich motiviert werden müssen. Für die wurde auch der Job Point eingerichtet, erklärt uns Frau Hünnemeyer: „Das ist für die schwierigen Fälle gedacht, die durch lange Wartezeiten abgeschreckt werden.“

 Mhm. Also ich persönlich werde ja morgens immer schon um 05:55 Uhr durch das Klingeln des Weckers abgeschreckt. Durch lange Wartezeiten sowieso. Bei den Ämtern, mit denen ich gelegentlich zu tun habe, gibt es eine bevorzugte Behandlung leider nicht. Eine zusätzliche monatliche Prämie würde mir die tägliche Arbeitsaufnahme sicherlich sehr erleichtern. Es ist mir auch sehr schwer gefallen, letzten Monat 1.600 Euro für die Reparatur meines Autos zu bezahlen, mit dem ich zu weit entfernten Arbeitsstellen fahren muss. Einen Haarschnitt hätte ich ebenfalls wieder nötig, meint nicht nur H.. Ich überlege: Bei Gerda Krüger würde ich mit den 20 Euro so gerade hinkommen, ohne Waschen.

 Klingt jetzt lustig, hat aber einen ernsten Hintergrund: Aus Sicht der AA mag es ökonomisch sinnvoll sein, durch die genannten Anreize Leute in Lohn und Brot zu bringen. Was sind schon 3 x 200 Euro Zuschuss pro Monat, selbst einmalig 2.000 Euro für eine Autoreparatur, wenn man als Amt dadurch dauerhaft die Kosten für die Stütze spart?

Die Sache hat aber noch einen anderen, moralischen Aspekt: Angesprochen werden eindeutig Menschen, die arbeitsfähig, aber ohne solche Anreize nicht arbeitswillig sind.

Was müssen gering bezahlte Arbeitnehmer, die vielleicht auch dieses Jahr wieder kein Weihnachtsgeld erhalten werden, denen niemand die Reparatur ihres Autos ersetzt, darüber denken? Müssen sie es nicht als Schlag ins Gesicht empfinden, wenn der neu eingestellte Kollege neben ihnen für die gleiche Arbeit zum selben Gehalt eine zusätzliche Prämie vom Amt erhält, die sie mit ihren Steuern und Sozialabgaben finanziert haben?  Verbittert das nicht die vielen Arbeitsuchenden, die gerne malochen würden, auch ohne zusätzlichen Anreiz, für die es aber keine geeigneten Jobs gibt? Weil sie wegen ihres Alters oder ihrer Über- oder Unter-Qualifikation niemand mehr nimmt. Denen helfen auch keine Prämien.

Die Dortmunder Agentur für Arbeit scheint die Anzahl der „schwierigen Fälle“, die schon durch die Schlangen im Amt von einer Beratung abgeschreckt werden, für nicht gerade gering zu halten. Denn  die genannten Prämien fallen nur an, wenn eine Arbeitsaufnahme erfolgt. Der Job Point, seine Ausstattung mit gleich zwei Mitarbeitern, kostet dagegen durchgehend Geld. Auch wenn nur durchschnittlich 1,67 Kunden pro Stunde vorbeischauen. Ob das so wenige sind, weil den „schwierigen Kunden“ schon der Besuch im Job Point zu mühsam ist, oder es von dieser Klientel doch weniger gibt, als die Agentur für Arbeit glaubt? Man hat da so seine Befürchtungen.   


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